Veröffentlicht am: 24.03.2025
Roswitha Müller war eine der ersten Ausbilderinnen der IHK-Bildungszentrum Dresden gGmbH. Anlässlich unseres 30-jährigen Firmenjubiläums gewährt sie spannende Einblicke in die damalige Ausbildung und teilt ihre Erfahrungen als Frau in einem von Männern dominierten Berufsfeld.
Roswitha, Du hast viele Jahre als Ausbilderin im IHK-Bildungszentrum gearbeitet. Was hat Dir an Deiner Arbeit am meisten Freude bereitet?
„Die Arbeit mit den Jugendlichen. Jeder Tag war ein neuer, spannender „Spaßtag“. Für mich war das nicht nur ein Beruf, sondern eine echte Berufung. Eigentlich wollte ich Lehrerin werden, doch da ich kein Arbeiterkind war, wurde mir dieser Weg damals verwehrt. Stattdessen erlernte ich den Beruf der Dreherin - sehr zum Entsetzen meiner Mutter, die sich kaum vorstellen konnte, dass ich in einem technischen Beruf glücklich werde.
Doch ich wollte mich weiterentwickeln und stellte mir bereits in der Ausbildung die Frage, welche Perspektiven es für mich geben könnte. Schließlich bekam ich die Möglichkeit, ein Studium in Karl-Marx-Stadt zu absolvieren. Seit 1968 war ich dann als Lehrmeisterin tätig, was den Grundstein für meine weitere berufliche Entwicklung legte. Später setzte ich meine Weiterbildung bei Pentacon fort - übrigens genau hier, im heutigen IHK-Bildungszentrum Dresden, im 4. Stock.“
Wie hat sich die berufliche Ausbildung in den Jahren verändert, in denen Du tätig warst?
„In den Jahren meiner Tätigkeit hat sich die berufliche Ausbildung erheblich verändert. Zu DDR-Zeiten habe ich eine feste Klasse geführt, was es mir ermöglichte, mich gezielt auf die Jugendlichen einzustellen und sie über längere Zeit zu begleiten. Die Ausbildung war strukturiert und es gab eine starke Bindung zwischen den Ausbildern und den Auszubildenden.
Nach der Wende änderte sich vieles. Eine der größten Herausforderungen war, überhaupt Lehrlinge von den Firmen zu bekommen. Es herrschte ein ständiger Wechsel - manche blieben eine Woche, andere nur drei Tage. Dadurch konnte sich kaum eine echte Bindung aufbauen und nur wenige Auszubildende waren kontinuierlich da. Es war eine ganz neue Dynamik, mit der wir umgehen mussten.
Besonders in Erinnerung geblieben sind mir Situationen, in denen gestandene junge Männer hereinkamen und regelrecht verzweifelt waren, wenn zum Beispiel ihre Freundin mit ihnen Schluss gemacht hatte. Da wurde dann auch mal kräftig gejammert - eine Seite, die man so vielleicht nicht unbedingt erwarten würde.“
Gibt es eine besondere Anekdote oder einen Moment mit Deinen Auszubildenden, an den Du Dich noch heute erinnerst?
„Es gibt einige Momente aus meiner Zeit als Ausbilderin, die mir bis heute im Gedächtnis geblieben sind, sowohl positive als auch negative.
Ein besonders turbulenter Vorfall war, als ein Schüler während des Unterrichts einen Knaller im Maschinenbett zündete. Doch obwohl ich ihn richtig zusammengestaucht habe, nahm er es nicht übel. Für ihn war es einfach ein Spaß. Für mich hingegen war es ein Schreckmoment, denn so etwas kann echt gefährlich werden.
Aber es gab natürlich auch viele schöne Erlebnisse. Besonders gerne erinnere ich mich an unsere Fahrten ins Landheim zu DDR-Zeiten. Mit den Jugendlichen waren wir zum Beispiel für drei Tage in Dahlen. Tagsüber haben wir Wanderungen unternommen und abends saßen wir in gemütlicher Runde beisammen. Das waren tolle Zeiten, die den Zusammenhalt damals gestärkt haben.
Ein weiterer bedeutender Moment war der Wechsel meiner Position an meinen Nachfolger Ronny Kipping. Es war mir wichtig, meine Arbeit in gute Hände zu übergeben. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass die Ausbildung mit ihm in die richtige Richtung weitergeführt wurde.“
Welche Werte hast Du Deinen Auszubildenden immer mit auf den Weg gegeben?
„Meinen Auszubildenden habe ich immer zwei zentrale Werte mit auf den Weg gegeben: Sie müssen im Leben ihren Mann stehen und stets auf Qualität achten.
Mir war es wichtig, dass sie lernen, Verantwortung zu übernehmen, sich durchzusetzen und auch in schwierigen Situationen standhaft zu bleiben. Gerade in einem technischen Berufsfeld darf man sich nicht so leicht unterkriegen lassen.“
Wie hast Du damals den Zusammenhalt im Team erlebt? Was hat das IHK-Bildungszentrum für Dich als Arbeitsplatz ausgezeichnet?
„Die Zusammenarbeit im Team habe ich immer als sehr positiv erlebt. Natürlich gab es hin und wieder Auseinandersetzungen - das ist ganz normal. Wir haben gut zusammengearbeitet und uns gegenseitig unterstützt.
Das IHK-Bildungszentrum war für mich mehr als nur ein Arbeitsplatz. Es hat mir unglaublich viel gegeben und die Arbeit hat echt Spaß gemacht. Ich habe das Bildungszentrum mit aufgebaut und viel Kraft und Herzblut hineingesteckt.
Auch nach meinem Abschied ist der Kontakt nie abgerissen. Selbst nach 15 Jahren komme ich immer noch gern hierher, zum Beispiel zu den jährlichen Weihnachtsfeiern. Viele meiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen treffe ich nach wie vor regelmäßig. Das ist für mich ein echtes Zeichen der Verbundenheit.“
Welche Herausforderungen hast Du in Deiner Laufbahn als Ausbilderin erlebt und wie hast Du diese gemeistert?
„In meiner Laufbahn als Ausbilderin gab es natürlich einige Herausforderungen, aber wir haben sie alle gemeistert.
Zu Beginn meiner Tätigkeit bei Pentacon hatten wir viele Lehrlinge. Das Material - Messmittel, Werkzeuge und Ausrüstung - wurde von den Kollegen organisiert und eingesammelt. Das war ein großer Vorteil, da wir dadurch gut ausgestattet waren und die Ausbildung reibungslos starten konnte.
Ein besonders großer Pluspunkt war, dass die IHK diese Ressourcen später übernommen hat. Dennoch mussten wir alle noch einmal durch eine Bewerbungsphase, um offiziell ins IHK-Bildungszentrum zu wechseln. Am Ende wurden aber alle übernommen, was ein großer Erfolg war.
Eine weitere Herausforderung war der Neubau des Bildungszentrums. Während die Werkstätten bereits in Betrieb waren, lief parallel der Ausbau weiter. Das war eine schwierige Zeit, vor allem wegen des enormen Lärms - es war regelrecht eine Katastrophe. Doch wir haben auch diese Phase überstanden, und nach etwa zwei Jahren war der größte Trubel überstanden und das Bildungszentrum gut aufgestellt.“
Du warst einer der ersten Mitarbeiterinnen im IHK-Bildungszentrum und hast Dich in einem von Männern dominierenden Berufsfeld bewegt. Wie hast Du diese Zeit erlebt? Welche besonderen Herausforderungen oder auch Vorteile gab es? Welchen Ratschlag würdest Du jungen Frauen geben, die heute in männerdominierten Branchen arbeiten möchten?
„Tatsächlich habe ich schon immer gern mit Männern zusammengearbeitet und hatte dabei nie Probleme. Ich wurde akzeptiert, ernst genommen und konnte mich gut in meinem Umfeld behaupten.
Mein Rat an junge Frauen, die heute in männerdominierten Branchen arbeiten möchten: Sie sollten eine klare Meinung haben und diese auch offen vertreten. Es ist wichtig, sich nicht zu verstecken und für die eigenen Überzeugungen einzustehen. Letztendlich zählt die Qualität der Arbeit - wer seine Sache gut macht, wird auch respektiert.
In meinen Anfangsjahren gab es im Zerspanungsbereich fast nur männliche Auszubildende. Interessanterweise waren zu DDR-Zeiten bereits mehr Frauen in technischen Berufen vertreten. Ich finde, wer sich für eine Aufgabe interessiert, sollte sie einfach machen, unabhängig davon, ob es als typischer Männer- oder Frauenberuf gilt. Wer mit Leidenschaft dabei ist, kann überall erfolgreich sein.“
Gibt es einen Rat, den Du jungen Menschen heute für ihren beruflichen Weg mitgeben würdest?
„Allen jungen Menschen würde ich den gleichen Rat wie meinen Enkeln geben: Nutzt jede Chance, die sich euch bietet. Weiterbildung ist unglaublich wichtig, um sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Und vor allem: Geht mit offenen Augen durchs Leben. Nehmt alles mit, was euch begegnet und seid bereit, neue Erfahrungen zu machen.“
Wie fühlt es sich an, im Ruhestand zu sein? Vermisst Du manchmal die Arbeit mit den Auszubildenden?
„Zu Beginn habe ich die Arbeit sehr vermisst. Es fiel mir schwer, mich vom Berufsleben zu verabschieden. Ich habe Prüfungen noch bis 2015 abgenommen, bis ich mit 70 Jahren komplett in den Ruhestand gegangen bin. Seitdem habe ich die Arbeit nicht mehr vermisst. Es fühlt sich gut an, jetzt wirklich komplett Rentner zu sein.
Ich freue mich aber, dass es im IHK-Bildungszentrum weiterläuft. Darüber bin ich wirklich froh. Mein Herz hängt immer noch am Bildungszentrum - sonst hätte ich heute auch dieses Interview nicht gegeben.“